Wigwam
Einer der kuriosesten Gastronomiebetriebe auf dem Ausstellungsgelände war der „Wigwam“, in einigen Quellen auch als „Amerikanisches Zelt“ bzw. „Indianisches Zelt“ bezeichnet.Die Gaststätte lag etwa 500 Meter östlich des Haupteingangs, unweit des Waagner’schen Palmenhauses und des Musikpavillons, in schattiger Abgeschiedenheit hoher Bäume. Der „Wigwam“, ein mit Flaggen geschmücktes, kuppelförmiges Zelt aus geteerter Leinwand, war mit bizarren Figuren und kindlichen Arabesken bemalt und erinnerte nur auf den ersten, sehr oberflächlichen Blick an die Behausungen der Indianer in Nordamerika. Die Seitenwand bot ein buntes Durcheinander hingepinselter Federkronen, Lassos, Tomahawks, Skalps sowie Krieger, Indianerhäuptlinge und Gauchos. Teile der Zeltdecke waren durch Stangen erhoben, diese wiederum mit Köchern, Lanzen, Masken und Schilden dekoriert. Rundherum waren Tische und Stühle aufgestellt, im Inneren des Zelts befand sich eine Bar. Ein Gesamtbild, das „uns genau zeigt, wie ein Wigwam n i c h t aussieht“, wie ein Mitarbeiter der Allgemeinen Illustrirten Weltausstellungszeitung zu Recht bemerkte. Das Personal bestand aus Afroamerikanern und Indianern. In der zeitgenössischen Berichterstattung – eine wahre Fundgrube an Stereotypen – wurden sie als freundliche, verspielt-komische, stets zum Lachen und Singen aufgelegte „Wilde“, als kohlrabenschwarze „Mohrenbedienung“, Kellner „aus dem Nubier-Land“, „Vollblut-Aethiopier“, „mehr kupferbraunes“ Personal und „Wigwam-Neger“ (!) wahrgenommen. Neben Gebäck, Eis und Früchten wurden Erfrischungsgetränke und Alkoholisches wie Ale, Brandy, Champagner, Gin, Milchpunsch und Wein serviert. Am profitabelsten erwies sich aber der Verkauf der in Wien noch kaum bekannten, mit zerstoßenem Eis sowie Ananasstücken bzw. Orangen- und Zitronenscheiben zubereiteten Cocktails, wie Sherry Cobbler, Mint Julep und Catawba Cobbler, die – hierzulande ebenfalls eine Neuheit – mit Strohhalmen geschlürft wurden. Der „Wigwam“ erfreute sich unter den Besuchern großer Beliebtheit und wurde sogar der damals fünfjährigen Erzherzogin Marie Valerie gezeigt, die sich dort das „Yankee Doodle“-Lied vorsingen und vortanzen ließ.
Den Zeitgenossen mag zwar die fehlende Authentizität des Zeltes aufgefallen sein – der Korrespondent der Leipziger Illustrirten Zeitung monierte sogar, dass der Wigwam „den ethnographisch-interessanten Charakter nur als Aushängeschild zur Schau“ trägt –, doch dürfte dies nur wenige gestört haben. Das gut durchdachte, profitorientierte Konzept von Boehm & Wiehl basierte – im Gegensatz zu den meisten anderen Ausstellern und Restaurationen – nicht auf einer mehr oder weniger treuen Inszenierung von Volkskultur(en), sondern auf der bewussten und offensichtlichen Vortäuschung des Exotischen – und die Besucher sind dieser faszinierenden Fiktion des Fremden erlegen.
Betrieben wurde der Wigwam von den New Yorker Restaurantbesitzern Boehm & Wiehl, denen auch das amerikanische Buffet in der Rotunde sowie ein Kaffeehaus neben dem Pavillon der Neuen Freien Presse gehörte. Die von Generaldirektor Schwarz-Senborn ausgestellten Konzessionen sollen sie unter dubiosen Umständen, durch Bestechung von General Mayer, eines leitenden Mitglieds der amerikanischen Ausstellungskommission, erhalten haben – laut Zeugenaussagen im später gebildeten Untersuchungsausschuss ging es um eine Summe von 1.000 bis 3.000 $. Diese und andere Korruptionsvorwürfe rund um die amerikanische Ausstellungskommission, die auch in der österreichischen Presse thematisiert wurden, führten letzten Endes zur Suspendierung des Generalkommissars General Thomas Brodhead Van Buren.
– ázb –