Industriepalast mit Rotunde
Der Industriepalast
Mit seinen gewaltigen Dimensionen war der sogenannte Industriepalast das wichtigste Gebäude der Wiener Weltausstellung. Seinen repräsentativen Mittelpunkt bildete ein eiserner Zentralbau: die Rotunde. Generaldirektor Schwarz-Senborn hatte bei der Anlage auf das von Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg für die Österreichische Gewerbeausstellung 1845 entwickelte „Fischgrätensystem“ zurückgegriffen und es entsprechend modifizieren lassen. Errichtet wurde eine 905 Meter lange und 25 Meter breite Längsgalerie, die von 16 Quergalerien durchschnitten wurde. Die so entstandenen breiten Höfe ermöglichten die Beleuchtung der Ausstellungsräume durch hohes Seitenlicht und sorgten für ausreichende Belüftung. Viele von ihnen wurden nachträglich überdacht, um zusätzliche Ausstellungsfläche zu gewinnen. Zwei Endbauten mit rechteckigen Innenhöfen schlossen die Halle im Westen und im Osten ab.
Das hier befolgte Pavillonsystem sorgte für die bei einem so ausgedehnten Bau gewünschte Abwechslung und machte die innere Gliederung auch äußerlich sichtbar. Die geografische Anordnung der Ausstellerländer (von West nach Ost) konnte so am besten erfolgen. Diese Anlage erleichterte nicht nur den An- und Abtransport der Objekte, sondern erlaubte den Besuchern auch den direkten Zugang zu einzelnen Abschnitten, ohne in bereits besuchte Räume zurückkehren zu müssen. 32 Ein- bzw. Ausgänge an den Stirnseiten der Quergalerien und vier mächtige Hauptportale boten Zutritt zum Industriepalast, der eine Gesamtfläche von 7 Hektar einnahm.
Die Rotunde
Die repräsentative Rotunde im Zentrum des Industriepalastes war zu ihrer Zeit der größte Kuppelbau der Welt. Ihre Spannweite war mit 108 Metern mehr als doppelt so weit wie die des Petersdoms in Rom. Anfangs aber erregte sie Befremden bei der Wiener Bevölkerung, die das markante Bauwerk ablehnte und mit Bezeichnungen wie „Blechhaufen“, „Guglhupf“ oder „Käseglocke“ bedachte. Skepsis herrschte auch bei Fachmännern und Politikern. Max Nordau erinnerte das gerippte Dach an „den Rückenpanzer einer Schildkröte“, und der Wiener Bürgermeister Cajetan Felder fand ebenfalls wenig Gefallen an der „über alle Beschreibung plumpe[n] Bedachung“. Rasch wurde die Rotunde zum beliebten Objekt der Wiener Witzblätter.
Trotz ihrer kolossalen Dimensionen war die Rotunde – das „achte Weltwunder“ – als einziges Hauptgebäude schon zu Beginn der Weltausstellung fertiggestellt. Sie sollte ursprünglich rein repräsentativen Zwecken dienen, wurde dann aus Platzmangel aber auch als Ausstellungsraum genutzt.
Errichtung der Rotunde
Der Entwurf der Rotunde ging auf den englischen Schiffsbauingenieur John Scott Russell zurück. Dessen Skizzen erwiesen sich jedoch als so unzulänglich, dass die Zeichnungen und Berechnungen vom Ingenieurbüro der Weltausstellung unter Engerth bzw. Oberingenieur und Bauinspektor Heinrich Schmidt angefertigt werden mussten. Die Ausführung der Dachkonstruktion übernahm die Duisburger Firma Harcort.
Das lampenschirmförmige Dach der Rotunde ruhte auf 32 eisernen Säulen. Seine Errichtung war langwierig, da das tragende Element der Konstruktion, ein eiserner Ring, auf dem Boden zusammengesetzt und anschließend stückweise gehoben werden musste. An 64 Hebeln arbeiteten zuletzt sechs Mann gleichzeitig, um eine gleichmäßige Hebung zu erreichen. Diese Arbeiten nahmen 82 Tage in Anspruch, wobei die Maximalhebung pro Stunde knapp 30 cm betrug.
Das gesamte Eisengewicht der Rotunde betrug rund 4.000 Tonnen. Bei der Innenverkleidung griff man auf Holz und Gips zurück. Eisenteile und Pfeiler wurden so ummantelt und dekoriert, dass sie den Eindruck von gemauerten Säulen erweckten. Die Tapezierung erfolgte in Rücksicht auf die gigantischen Dimensionen der Rotunde mit Bahnen bedruckter Jute.
Eine gewaltige vergoldete Kaiserkrone von vier Metern Durchmesser und fast vier Tonnen Gewicht prangte auf der Spitze der Rotunde.
Das fertige Bauwerk bot Platz für über 27.000 Menschen.
Auf dem Dach der Rotunde
Das Dach der Rotunde besaß zwei Laternen, deren untere einen (äußeren) Durchmesser von rund 32 Metern hatte. Durch ihre Fenster fiel das Licht in die Rotunde. Die Laterne bestand aus 30 Säulen von 10,5 Metern Höhe und verfügte über einen Umgang, von dem aus man ganz Wien und Umgebung überblickte. Große Fernrohre waren auf ihr angebracht. Ab dem 20. Juni durften Besucher die Rotunde gegen Eintritt besteigen. Zwei Treppen führten zur inneren Galerie, von wo aus man über Eisenstiegen auf dem Außendach zur großen Laterne gelangte.
Später beförderte auch ein hydraulischer Aufzug im Inneren einer der Eisensäulen die Besucher (in Gruppen zu 15 Personen) in 25 Meter Höhe, auch das Besteigen der kleinen Laterne (in 58,5 Metern Höhe) wurde schließlich gestattet. Über 200.000 Menschen nutzten während der Weltausstellung die Gelegenheit zu dieser einmaligen Aussicht.
Ein Missstand
Als höchst unangenehme „Begleiterscheinung“ erwies sich das undichte Dach der Rotunde. Bei Regen gelangte Wasser ins Innere des Gebäudes und zog nicht nur die Ausstellungskästen und Objekte, sondern auch die in der Rotunde befindliche Orgel in Mitleidenschaft.
In Anspielung auf die ungewöhnliche Dachform hieß es in einem Wiener Witzblatt jener Zeit: „Wenn die Rotunde durchaus in Trichterform gebaut werden mußte, so hätte man sie vernünftiger Weise mit der Spitze nach unten kehren sollen; das wäre für Publicum und Regen bequemer gewesen.“ (Der Floh, 17. 5. 1873)
Das Ende der Rotunde
Nach 1873 war der Rotunde nur deshalb ein Fortleben beschieden, weil ihr Abriss bedeutende Kosten verursacht und die sinnlose Vernichtung wohl Aufsehen erregt hätte. So wurde sie dem Handelsministerium unter der Bedingung übergeben, dass dieses die Erhaltungskosten zu tragen habe. Mittlerweile neben dem Stefansdom zum zweiten Wiener Wahrzeichen geworden, diente sie noch jahrzehntelang für verschiedenste Veranstaltungen, bis sie 1937 durch einen Brand zerstört wurde.