Unterkünfte
Eine der dringlichsten Fragen, die das Großvorhaben Weltausstellung aufwarf, betraf die Unterbringung der ersehnten Besucherströme. Man hoffte auf bis zu 20 Millionen Gäste, doch nie zuvor hatte die Stadt so viele Menschen beherbergt. Da die Wiener Innenstadthotels nur für rund 10.000 Personen gerüstet waren, ließ die k.k. Polizeidirektion im Vorfeld erheben, wie viele Gäste in Privatzimmern unterkommen könnten, und ermittelte eine Zahl von 18.273 Betten innerhalb der Linien. In den Vororten glaubte man zusätzliche rund 12.000 Personen aufnehmen zu könnten.
Aufgrund der Erfahrungen bei früheren internationalen Ausstellungen war mit täglich 20.000 bis 30.000 in der Stadt verweilenden Fremden zu rechnen. Eine eigens eingesetzte „Immediat-Kommission“ rief daher zu verstärkter Bautätigkeit auf und förderte nach Möglichkeit Projekte privater Unternehmer zur Abhilfe der Wohnungsnot. Das Wiener Hotel- und Gastgewerbe erlebte in der Folge einen enormen Aufschwung, und ein wahrer Hotelbauboom setzte ein. Dabei entstanden nicht nur neue Hotels und Gasthöfe, auch bestehende Gebäude wurden erweitert und qualitativ aufgewertet.
Hotels
Zu den imposantesten Neubauten zählte etwa das am Donaukanal gelegene Hotel Métropole. Es wurde 1871–73 nach Plänen von Carl Schumann und Ludwig Tischler anstelle des abgebrannten Theaters am Franz-Josefs-Kai errichtet. Sein Bau kostete sechs Millionen Kronen. Das Luxushotel wartete mit 300 Zimmern auf, von denen 60 über Privatbad und Toilette verfügten. Traurige Berühmtheit erlangte das Gebäude durch seine Nutzung als Gestapo-Hauptquartier in den Jahren des Nationalsozialismus. 1945 wurde es durch Bombentreffer zerstört.
Neu errichtet wurden auch das Hotel Britannia am Schillerplatz und das in Ausstellungsnähe gegenüber dem einstigen Nordbahnhof gelegene Hotel Donau. Letzteres stand unter keinem guten Stern. Als während der Weltausstellung 13 Hotelgäste an Cholera erkrankten und acht davon starben, verließen die übrigen Gäste fluchtartig das Haus. Beide Gebäude wurden aus wirtschaftlichen Gründen nach der Weltausstellung anderweitig genutzt: das Hotel Britannia ab 1874 vom Justizministerium, das Hotel Donau von der Direktion der Kaiser Ferdinands-Nordbahn.
Das am Schottenring errichtete Hotel Austria wurde nach der Weltausstellung ebenfalls zum Verwaltungsgebäude umgestaltet. Das nicht mehr erhaltene Bauwerk war ab 1875 Sitz der k.u.k. Polizeidirektion. Seinem ursprünglichen Zweck dient hingegen noch das gleichfalls am Schottenring 1872 erbaute Hotel de France, dem man im Hinblick auf die Weltausstellung einen Namen mit internationalem Flair gegeben hatte.
Auch das elegante Hotel Imperial verdankt seine Entstehung der Wiener Weltausstellung. Das ursprünglich für Herzog Philipp von Württemberg an der Ringstraße errichtete Palais wurde 1872/73 zum repräsentativen Hotel umgestaltet und schließlich in Anwesenheit von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth feierlich eröffnet. Als einziges Hotel der Monarchie durfte das Imperial die Bezeichnung „K. k. Hofhotel“ führen.
Massen- und Privatquartiere
In starkem Kontrast zur gehobenen Hotellerie standen die zahlreichen Massenquartiere, die einerseits den Arbeitern, andererseits den weniger zahlungskräftigen Ausstellungsbesuchern eine erschwingliche Unterkunft bieten sollten. Hinzu kam eine hohe Anzahl an Privatwohnungen bzw. Zimmern, da viele Wiener bereit waren, an Fremde zu vermieten, während sie den Sommer auf dem Land verbrachten. Dass die Privatquartiere letztlich großteils leer blieben, lag allerdings auch an den teils stark überzogenen Mietpreisen.
Die „Ulmer Wohnungsschiffe“
Eine originelle Idee zur Lösung der Wohnungsknappheit stammte aus Ulm, wo seit langem sogenannte Ordinari, im Volksmund „Ulmer Schachteln“ genannt, im Gebrauch waren, die donauabwärts fuhren und die beiden Städte verbanden. Eine Reihe dieser eigentlich für Transportzwecke gedachten Schiffe wurde eigens für die Weltausstellung gebaut, in schwimmende Herbergen von 27,3 m Länge und 6,2 m Breite verwandelt und nach Wien gebracht. Pro Schiff standen 26 bis 28 Kabinen mit ein oder zwei Betten zur Verfügung. Alle Kabinen waren tapeziert und mit Teppichen ausgestattet. Den nötigen Komfort boten ein verschließbarer Waschtisch mit vollständiger Einrichtung, Spiegel, Klappstuhl, Handleuchter mit Stearinlicht, ein „Kleiderrechen“ etc. Jedes Schiff hatte zudem einen Gepäckraum und zwei Abtritte. Eigenes Personal bediente die Bewohner. Die Ulmer Flottille ging in unmittelbarer Nähe des Ausstellungsgeländes im Donaukanal vor Anker und war selbst Teil der Ausstellung. Pferdebahn, Omnibus und Fiaker waren von dort aus leicht erreichbar und standen die Besuchern zwischen fünf Uhr früh und ein Uhr nachts zur Verfügung.
Sonstige Quartiere
Auch auf dem Ausstellungsgelände selbst wurden Wohnmöglichkeiten geschaffen. Zur Bedienung der zahlreichen ausgestellten Maschinen hatte die englische Ausstellungskommission 60 Facharbeiter nach Wien entsandt. Diese waren in zwei transportablen eisernen Wohnhäusern untergebracht, die man direkt auf dem Aufstellungsplatz hinter der Maschinenhalle errichtet hatte.
Eine spezielle Besuchergruppe stellten 1873 die Lehrer dar: Da dem Unterrichtswesen ein eigener Ausstellungsbereich eingeräumt worden war, erwartete man eine große Zahl von Pädagogen. Die Schulferien waren eigens zu diesem Zweck geändert worden, und das Wiener Rudolfinum stellte über den Sommer 30 Zimmer für 300 Lehrer und Professoren aus allen Ländern zur Verfügung.
Die Wohnungsfrage in der Karikatur
Ein Thema, das so viele Menschen unmittelbar berührte – über 3.000 Wohnungen und Geschäfte wurden in Wien 1872 aufgekündigt –, fand natürlich auch Eingang in die Tagespresse. Humoristen und Karikaturisten griffen es gerne auf.
„Danke Gott, o Erdengast,
Wenn Du noch ein Obdach hast;
Zahlst Du dies auch noch so schwer,
and’re wohnen gar nicht mehr!“
(aus Josef Weyl: Humoristischer Weltausstellungskalender für das Jahr 1873)