Themen und Aussteller
Eine geradezu überwältigende Fülle an Eindrücken muss sich den Besucherinnen und Besuchern der Wiener Weltausstellung geboten haben. Sich an einem Tag auch nur einen Überblick über alles Gezeigte verschaffen zu wollen, war schlichtweg unmöglich, und die eingehende Besichtigung sämtlicher Exponate hätte sogar 40 Tage in Anspruch genommen. In einem Leitfaden, wie man sich am besten durch das Labyrinth der Ausstellung bewege, empfahl die Internationale Ausstellungs-Zeitung daher nicht nur ein systematisches Vorgehen (1. Total-Besichtigung, 2. Spezialbesichtigung der interessantesten Gruppen, 3. Besichtigung der interessantesten Objekte aller Gruppen mit anschließender nochmaliger Durchwanderung der gesamten Ausstellung), sie legte ihren Leserinnen und Lesern auch den Gebrauch eines Notizbuchs sowie eine gewisse Gelassenheit nahe: „Wer Vieles sehen will – sieht Nichts.“ Überdies riet sie, die Ausstellung nach solcher Anstrengung für einen oder mehrere Tage gar nicht zu besuchen, um sich zu erholen, seine Notizen zu ordnen und seine Eindrücke niederzuschreiben.
Geografische Anordnung
Bei der Anordnung der 35 Teilnehmerländer hatte man sich für die geografische Abfolge von West nach Ost entschieden, sodass sich Besucher auch ohne Plan grob orientieren konnten und die USA im westlichen Teil, den „Orient“ im östlichen Teil der Industriehalle suchten. Wer seinen Rundgang am westlichen Ende begann, traf also zunächst auf Brasilien mit seinen reichen Naturschätzen wie Hölzern, Baumwolle und Tabak sowie den beliebten, aus Federn gefertigten Schmuckgegenständen. Wandte man sich südwärts, passierte man die nordamerikanischen Aussteller mit ihren Nähmaschinen, Fensterrollos, Sodawasserapparaten, Klavieren etc., um dann zu den englischen Ausstellern zu wechseln und dort etwa den Brillanten- und Smaragdenschmuck von Lady Dudley oder papierene Vorhänge zu begutachten. Anschließend gelangte man zu den exquisiten Möbeln und Tapezierarbeiten aus Frankreich und so fort.
Am östlichen Ende der Industriehalle versprach hingegen der „Orient“ allerlei Exotisches: „Was auch immer die westliche Hälfte des Ausstellungspalastes (…) enthalten mag“, kündigte die Wiener Weltausstellungszeitung an, „es kann kein Zweifel übrig bleiben, die Ausstellung der östlichen Seite, namentlich der Türkei und Egypten, aus Persien, China und Japan wird eine weitaus stärkere Anziehungskraft auf die Besucher üben. Sind doch diese Länder zum erstenmale selbstständig und zahlreich vertreten“.
Die Rotunde schließlich umfasste die imposantesten Ausstellungsgegenstände aller Staaten.
Universalitätsanspruch
Mit dem ehrgeizigen Ziel, das „Culturleben der Gegenwart und das Gesammtgebiet der Volkswirtschaft darzustellen“, geriet die Wiener Weltausstellung zur Mammutschau. Thematisch hatte man eine Einteilung in 26 Gruppen und 174 Sektionen getroffen. Sie deckten vom Bergbau- und Hüttenwesen bis zum Erziehungs-, Unterrichts- und Bildungswesen die Bereiche Wirtschaft, Technik, Wissenschaft, Kunst und Kultur ab. Besonders Letztere nahm 1873 einen höheren Stellenwert ein als bei früheren Expositionen.
In den Hallen und Pavillons begegnete man somit den verschiedenartigsten Themen und Objekten, die von den Belangen des Kleinkinds bis zum Küstenbeleuchtungswesen, von der Abfallverwertung bis zur Pflege der Verwundeten im Krieg reichten. Die Pazifikbahn war ebenso Gegenstand der Ausstellung wie Engerths Sperrschiff oder die eben erst errichteten Brücken über den Donaukanal. Zahllose Einzelfirmen präsentierten Dinge des täglichen Bedarfs, andere ihre Luxusgüter und erlesenes Kunsthandwerk. Spirituosen, Bodenschätze aller Art, eine umfassende Sammlung von Pflügen (inklusive jenes, an dem Kaiser Josef einst einen mährischen Bauern abgelöst hatte), ein „ethnografisches Dorf“ mit teils bewohnten Bauernhäusern aus Ostgalizien, Siebenbürgen, Vorarlberg und anderen Regionen, die neuesten technischen Entwicklungen – sie sind nur ein winziger Ausschnitt aus der Vielfalt des Gebotenen.
Temporäre und „additionelle“ Ausstellungen, Kongresse
Da man „die ausgetretene Ausstellungsbahn“ verlassen und „nicht bloß die Schaulust“ befriedigen, sondern auch den wirtschaftlichen Fortschritt fördern und den Volkswohlstand erhöhen wollte, gab es eine Reihe zusätzlicher und temporärer Ausstellungen. Für wissenschaftliche Zwecke galt es die Weltausstellung ebenfalls zu nutzen – etwa, indem der Grundstock zu dauerhaften Sammlungen gelegt werden sollte, die nur durch internationale Zusammenarbeit möglich waren.
Sechs sogenannte „additionelle Ausstellungen“ behandelten daher eingehend die Geschichte der Gewerbe und Erfindungen, „Cremoneser Instrumente“, die Abfallverwertung, die Geschichte der Preise, den Welthandel, Frauenarbeiten sowie Pflege und Gesundheit der Arbeiter.
Zahlreiche temporäre Ausstellungen zwischen Mai und Oktober 1873 zeigten landwirtschaftliche Erzeugnisse, Lebendvieh, Blumen und dergleichen.
Zur selben Zeit war Wien Schauplatz vieler Kongresse, etwa zur Beratung einer einheitlichen Garnnummerierung und eines einheitlichen Systems für Patentschutz. Ärzte, Naturforscher, Technologen, Museumsdirektoren, Landwirte und andere Berufsgruppen nutzten die Gelegenheit zu internationalen Fachkongressen.
Einzelfirmen
Für Unternehmer war die Beteiligung an der Weltausstellung im Hinblick auf eine mögliche Prämierung ihrer Produkte durch die internationale Jury von großer Bedeutung. Viele Aussteller des Jahres 1873 waren bereits auf früheren Weltausstellungen ausgezeichnet worden, manche konnten dadurch ihren Weltruf begründen. Zu den heute noch bekannten Namen zählen etwa Bösendorfer, Philipp Haas & Söhne, Lobmeyr, Thonet, L. &. C. Hardtmuth, Köchert, um nur einige (alt-)österreichische Unternehmen zu nennen.
Manche Industrielle ließen auf dem Ausstellungsgelände eigene Bauten errichten, so die Wiener Ziegelfabriks- und Baugesellschaft unter Heinrich Ritter von Drasche, deren Triumphbogen sich an der Ostseite des sogenannten Kunsthofs befand. Im Inneren des von Heinrich von Ferstel entworfenen Baues stellte die Inzersdorfer Fabrik ihre Tonwaren aus.
Mit markanten Pavillons waren unter anderem auch Adolf Ignaz Mautner von Markhof und Carl Anton Maria Dreher vertreten.
Die Kunstausstellung
Zu den Hauptanziehungspunkten zählte auch der von den anderen Ausstellungshallen abgegrenzte Kunstbezirk im östlichen Teil des Weltaustellungsgeländes. Er umfasste eine eigene Kunsthalle mit fast 7.000 Quadratmetern Wandfläche sowie zwei kleinere Pavillons (Pavillons des amateurs), die als einzige Gebäude der Weltausstellung erhalten geblieben sind. Dazwischen erstreckte sich der sogenannte Kunsthof.
Gezeigt wurden ausschließlich Werke der bildenden Kunst, die seit der Londoner Exposition von 1862 entstanden waren. Insgesamt waren es 6.600, wobei Frankreich mit Abstand die meisten Kunstwerke beisteuerte, gefolgt von Deutschland und Österreich. Auch in der Kunsthalle hatte man die Bilder nach Ländern angeordnet. Dass die Gemälde in mehreren Reihen übereinander hingen, ließ viele die Schau als überladen empfinden.
Neben der Malerei umfasste die Ausstellung die Bereiche Architektur, Skulptur, Grafik und sakrale Kunst.
Erziehung, Unterricht und Bildung
Die 26. Ausstellungsgruppe, das „Erziehungs-, Unterrichts- und Bildungswesen“ unter der Leitung von Kultus- und Unterrichtsminister Karl von Stremayr, nahm im Vergleich zu früheren Expositionen einen besonderen Stellenwert ein. Berücksichtigt wurden neben dem Unterrichts- und Schulwesen erstmals auch die Belange des kleinen Kindes sowie die Erwachsenenbildung. Portugal, die USA, Schweden und das Deutsche Reich präsentierten eigene Schulhäuser, das österreichische Musterschulhaus mit einer Winterturnhalle fand ebenfalls viel Beachtung. Gezeigt wurden Schülerarbeiten, Lehrmittel, Spielzeug, Handarbeiten sowie eine Fülle von theoretischem bzw. statistischem Material, womit man Lehrern die Möglichkeit zu vergleichenden Studien bei der Organisation und Methodik des Unterrichts bieten wollte. Zu diesem Zweck hatte man sogar die Schulferien verlegt.
Dargestellt wurden neben sämtlichen Schultypen auch technische Hochschulen, Blindeninstitute, Lehrerbildungsanstalten und Universitäten sowie zahlreiche Fortbildungsinstitute für Erwachsene.
Eine Besonderheit war der sogenannte „Pavillon des kleinen Kindes“, der auf eine Idee von Julius Hirsch zurückging. In ihm zeigten englische, chinesische, japanische und österreichische Aussteller Nützliches rund um Ernährung, Pflege und Erziehung des Kindes vom Säuglings- bis ins Vorschulalter. Zu sehen war neben einem riesigen Weihnachtsbaum die Ausstattung eines bürgerlichen Kinderzimmers aus Großbritannien ebenso wie die Nachbildung eines Wickeltisches und einer Wiege aus dem österreichischen Kaiserhaus. Hinzu kamen Wäsche, Ausstattung, Spielwaren und Kinderbücher für den ersten häuslichen Unterricht. Gezeigt wurde auch eine Nachbildung der Kinderstube der Vereinskrippe in Wien, in der an Werktagen Kinder bis zu zwei Jahren verpflegt wurden.
– eo –
Exkurs: eine Schweinerei
„An der linken Wand zieht eine ungeheure Schweinerei die Aufmerksamkeit mächtig an; keine Beleidigung ist beabsichtigt, es ist eine Schweinerei im buchstäblichen Sinne des Wortes, ausgestellt von der Pork packing Co. von Cincinnati, der großen Porcopolis. Ein ganz geschickter Künstler hat hier in kartonartigen schwarzen Zeichungen den Lebenslauf des Schweines illustriert, der mit seinem Tode anfängt, bis es endlich als Schinken u. s. w. auf unsern Tisch gelangt.“
Ueber Land und Meer, 1873