Die internationale Jury
Die Bedeutung, die der internationalen Jury während der Wiener Weltausstellung zukam, brachte schon der Standort ihres Pavillons zum Ausdruck. Links des Haupteingangs gelegen und ein Gegenstück zum Kaiserpavillon bildend, fiel er den Besuchern als einer der ersten Ausstellungsbauten ins Auge. Neben mehreren kleineren Beratungszimmern enthielt der Pavillon einen großen, hellen Saal, der die nähere Prüfung einzelner Exponate durch die Juroren erlaubte und für öffentliche Vorträge genutzt wurde.
Aufgabe der Jury war es, die in insgesamt 26 Gruppen ausgestellten Objekte (mit Ausnahme jener der Exposition des amateurs) zu beurteilen und die besten von ihnen zu prämieren. Die ernorme Anzahl der Aussteller verlangte eine entsprechende Zahl von Preisrichtern: Unter Johann Adolph Fürst zu Schwarzenberg, dem Präsidenten dieses „Conseil supérieur“, nahmen im Juli 956 Juroren ihre Tätigkeit auf, unter ihnen so bekannte Namen wie Henrik Ibsen, Theodor Billroth oder Werner von Siemens. Während die ungarischen und ausländischen Jurymitglieder von den jeweiligen Landeskommissionen vorgeschlagen wurden, konnten cisleithanische Aussteller die Hälfte der Jurymitglieder selbst wählen, die andere Hälfte wurde vom Präsidenten der Ausstellungskommission ernannt. Für die begleitenden „additionellen“ und temporären Ausstellungen wurden Spezialjurys eingesetzt. Dabei stand es den Ausstellern frei, ihre Produkte bewerten zu lassen. Wer darauf verzichtete und „hors de concours“ präsentierte, musste dies jedoch ausdrücklich erklären.
Insgesamt sieben Auszeichungen hatte die Jury zu vergeben:
- Ehrendiplom der Weltausstellung 1873 in Wien
- Fortschrittsmedaille
- Verdienstmedaille
- Kunstmedaille
- Medaille für guten Geschmack
- Medaille für Mitarbeiter
- Anerkennungs-Diplom
Die höchste Auszeichnung, das Ehrendiplom, wurde für hervorragende Verdienste um Wissenschaft, ihre Anwendungen, um die Volksbildung, die Förderung des geistigen, sittlichen und materiellen Wohls des Menschen verliehen. Sie konnte nur über Antrag einer Gruppen-Jury zuerkannt werden. Die Fortschrittsmedaille hingegen erhielten Aussteller, die bereits an früheren Weltausstellungen teilgenommen hatten und entsprechende Fortschritte nachweisen konnten. Die Verdienstmedaille berücksichtigte Güte und Vollendung der Arbeit, Umfang der Produktion, Eröffnung neuer Absatzwege etc., während die Kunstmedaille der Gruppe 25 vorbehalten war und die Medaille für guten Geschmack jenen Erzeugnissen zukam, bei denen vor allem Form und Farbe für die Beurteilung maßgeblich waren.
Die Tätigkeit der Juroren war nicht nur verantwortungsvoll, sondern mitunter auch strapaziös. So hatte beispielsweise die Abteilung für Nahrungsmittel über 30.000 Flaschen Wein und mehr als die doppelte Anzahl von Likören und Branntweinen zu prüfen. Unter den Tabakfabrikaten galt es einige Tausend Zigarren unterschiedlichster Güte zu bewerten. Die 5.084 Aussteller von Streichgarn- und gewalktem Gewebe in der Gruppe der Schafwollwaren präsentierten allein mindestens 12.000 Artikel. Auch der bürokratische Aufwand war erheblich. Ein Juror brachte 69 Stunden nur damit zu, sämtliche, eine Preiszuerkennung enthaltenden Beschlüsse penibel in rastrierte Bögen einzutragen. Wegen Wahrung des Amtsgeheimnisses musste diese Arbeit von den Juroren selbst erledigt werden.
Ein Teil der Jury benötigte außerdem Hilfsmittel, um ihrer Aufgabe nachzukommen, so erhielten Artillerie-Komitees ein entsprechendes Exerzierfeld zum Testen eines neuen Geschützes, Landwirte bekamen Versuchsfelder, und auch Land- und Wasserbauingeneure und Schiffbaumeister fanden ein geeignetes Terrain.
Dass es bei der gewaltigen Menge an Exponaten auch zu Fehlgriffen seitens der Jury kam, scheint unausweichlich. Die Wiener Weltausstellungs-Zeitung berichtet etwa von groben Irrtümern. So sollen Objekte prämiert worden sein, die gar nicht gezeigt worden waren, während andere Objekte in ihrem Zweck verkannt und somit unter einem schiefen Gesichtspunkt beurteilt wurden. Es heißt, dass eine „gewisse Nonchalance“ Platz gegriffen habe, wo heiliger Ernst hätte herrschen sollen. Eine Flut von Beschwerden war die Folge.
In Summe streute die Jury jedoch ein ganzes Füllhorn an Medaillen und Diplomen über die Aussteller: Unter den insgesamt 25.572 Auszeichnungen waren 8.687 Verdienstmedaillen, 2.929 Fortschrittsmedaillen, 2.162 Medaillen für Mitarbeiter, 977 Kunstmedaillen, 310 Medaillen für guten Geschmack, 10.066 Anerkennungsdiplome sowie 441 Ehrendiplome.
Die feierliche Preisverleihung fand vor Tausenden Zuschauern am 18. August 1873, dem Geburtstag des Kaisers, in der Winterreitschule statt. Neben Mitgliedern des Kaiserhauses waren auch hochrangige Vertreter aus Politik und Kirche anwesend. Nach Ansprachen der Erzherzöge Rainer und Karl Ludwig hatte Generaldirektor Schwarz-Senborn die undankbare Aufgabe, die lange Liste jener, die ein Ehrendiplom erhalten hatten, zu verlesen.
Noch am selben Nachmittag wurde das 66 Bogen starke Verzeichnis der Preisgekrönten ausgegeben, und schon kurz darauf prangten die ersten Täfelchen an den Vitrinen der prämierten Aussteller. „Speculative Industrielle“ hatten nämlich, wie in der Internationalen Ausstellungs-Zeitung zu lesen war, bereits Schildchen mit der durch schwarze Buchstaben auf Goldgrund ersichtlichen Angabe des Diploms oder der Medaille zum Verkauf gebracht.
Nur wenige Wochen später kündeten auch die Inseratenseiten der Zeitungen vom Medaillenregen der Wiener Weltausstellung.
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