Bilanz
Am 2. November 1873 ging die Wiener Weltausstellung zu Ende – ein epochemachendes Großereignis, das viele innere Widersprüche der Moderne zutage treten ließ.
35 souveräne Staaten hatten teilgenommen, über 50.000 Aussteller hatten ihre Exponate auf einer Gesamtausstellungsfläche von 11,6 Hektar gezeigt – damit stellte die große kulturelle und wirtschaftliche Leistungsschau alle früheren internationalen Expositionen in den Schatten. Sie bot die Bühne für die euphorische Selbstdarstellung des liberalen Bürgertums, dem als Hauptträger der technischen und wirtschaftlichen Innovation das Zustandekommen des Projekts zu verdanken war. Zugleich läutete aber die Weltausstellung den Niedergang der liberalen Ära und des ungehemmten Kapitalismus ein. Die Organisatoren rechneten mit 10 bis 20 Millionen Besuchern, die Ausstellung wurde aber von nur 7 Millionen Menschen besichtigt. Statt der ursprünglich projektierten 6 Millionen kostete sie 19,1 Millionen Gulden, die Einnahmen betrugen hingegen nur 4,2 Millionen Gulden. Viele hielten Generaldirektor Schwarz-Senborn, der beinahe unumschränkte Vollmachten genoss, für verantwortlich. Doch verhinderte wohl gerade sein mitunter diktatorischer Führungsstil eine noch größere organisatorische und finanzielle Katastrophe.
Der Börsenkrach und die Choleraepidemie von 1873 setzten dem Fortschrittsoptimismus und dem Machbarkeitsglauben der Zeit ein Ende. „Durch ein ohne Beispiel dastehendes Zusammentreffen vieler ungünstigen Umstände, von denen jeder einzelne schon geeignet wäre, einem solchen Unternehmen den Todeskeim einzuimpfen, ist die Weltausstellung ihres idealischen unvergleichlichen Glanzes beraubt, sind die sanguinischen Erwartungen Einzelner zu Grabe getragen worden und nur ein matter Abklatsch dessen, zu dessen Eintreffen wir berechtigt waren, gilt als unzureichender Ersatz“ – lautete das ernüchternde Resümee in der Wiener Weltausstellungs-Zeitung.
Doch trotz alledem profitierte sowohl die Stadt als auch die Monarchie von der Weltausstellung. Österreich präsentierte sich als Großmacht, Industrienation und Vermittlerin zwischen Ost und West – Wien wuchs zu einer Metropole empor. Die Prophezeiung des deutschen Nationalökonomen August Oncken sollte sich bewahrheiten: „Den endgültigen Uebergang zur Weltstadt wird Wien jedenfalls der Weltausstellung zu danken haben.“
Die Wiener Weltausstellung von 1873 mag zwar für viele Zeitgenossen eine einzige Pannenserie dargestellt haben, rückwirkend betrachtet war sie dennoch jene große, die Totalität menschlichen Wirkens und Strebens erfassende Gesamtschau, die gerade durch die negativen Begleitumstände ein authentisches Spiegelbild der von Brüchen und Krisen geprägten Epoche bot.
– ázb –