Musik auf der Wiener Weltausstellung
Wie so vieles bei der Weltausstellung standen auch die offiziellen Musikdarbietungen unter keinem guten Stern. Die Misshelligkeiten begannen schon bei der Auswahl der mit dieser Aufgabe zu betrauenden Musiker. In der Presse wurde ein aus Mitgliedern verschiedener Militärkapellen der Monarchie zusammengestelltes Orchester unter der Leitung des Militärkapellmeisters Michael Zimmermann verlangt. Dieser war 1867 bei der vorangegangenen Weltausstellung in Paris ex aequo als Sieger in einem Wettbewerb hervorgegangen. Argumentiert wurde unter anderem damit, dass die in staatlichem Sold stehenden Militärmusiker den Organisatoren der Wiener Weltausstellung gratis zur Verfügung gestanden wären. Auch befürchtete man, dass nur eine reine Bläserformation, nicht aber ein aus Streichern und Bläsern bestehendes Orchester unter den gegebenen akustischen Voraussetzungen durchzudringen imstande wäre – wie sich zeigen sollte, nicht unberechtigt.
Indessen machte sich auch Eduard Strauss, der dem Wechsel seines ältesten Bruders Johann ins Operettenfach und dem Tod des zweitgeborenen Josef folgend seit 1870 allein die Strausskapelle leitete, Hoffnungen auf das prestigeträchtige Engagement. Seinen eigenen Aussagen zufolge versuchte Eduard im Vorfeld der Ausstellung den in der Beliebtheit beim Publikum nach wie vor unübertroffenen Johann zur Mitwirkung zu gewinnen, erhielt von diesem aber bis zuletzt nur ausweichende Antworten.
Die „Wiener Weltausstellungskapelle“
Johann Strauss, der damals nicht im besten Einvernehmen mit Eduard stand, verfolgte derweil seine eigenen Pläne. 1871 und 1872 war er bei den Kurkonzerten in Baden-Baden aufgetreten und hatte dort das aus Elberfeld (heute Wuppertal) stammende Orchester von Julius Langenbach dirigiert. Dabei zeigte er sich von den Leistungen dieses Klangkörpers überaus angetan. Als zum Saisonende 1872 im gesamten Deutschen Reich per Gesetz alle Spielbanken geschlossen wurden, stand das 40-köpfige Ensemble für 1873 ohne Engagement da. Strauss erreichte, dass das Langenbach-Orchester, um 30 Mann vermehrt, als offizielle „Wiener Weltausstellungskapelle“ unter Vertrag genommen wurde. Ahnend, dass die Öffentlichkeit die Darbietung wienerischer Musik durch ausländische Musiker nicht kritiklos hinnehmen würde, studierte er das Orchester persönlich und ohne Entgelt ein.
Strauss sollte mit seinen Befürchtungen Recht behalten. Die Wiener Presse zeigte sich von der Entscheidung überrascht und reagierte verschnupft. Nun hätten sich die Kritiker durch überzeugende Leistungen wohl rasch besänftigen lassen, doch dem standen schwerwiegende organisatorische Mängel entgegen. Das Eröffnungskonzert am 1. Mai fand in der Rotunde statt, als dort noch die letzten Bauarbeiten im Gange waren. Der dadurch verursachte Lärm beeinträchtigte selbstverständlich die musikalischen Darbietungen in dem aufgrund seiner Größe und Bauweise akustisch ohnedies höchst problematischen Gebäude. Daraufhin wurden die Konzerte in der Rotunde sistiert und in aller Eile ein eigener Musikpavillon errichtet. Überdacht waren jedoch nur die Plätze der Musiker und zu allem Unglück litt die Weltausstellung speziell während der ersten Wochen unter sehr ungünstigem Wetter. Dazu kam, dass für die Sitze im Publikum exorbitant hohe Preise verlangt wurden, die nur ein sehr geringer Teil der Besucher zu zahlen bereit war.
Weitere Schwierigkeiten ergaben sich dadurch, dass für die Proben nur ein höchst unzureichender Raum zur Verfügung gestellt wurde. Strauss, der zu Beginn der Konzerte noch einige Werke persönlich dirigiert hatte, blieb dem Podium zwischenzeitlich gänzlich fern, was ihm vom Publikum gründlich verübelt wurde. Er rechtfertigte sich damit, dass er sich, so wie auch viele der Orchestermusiker, bei dem schlechten Wetter erkältet habe und überdies vertraglich gar nicht zu Auftritten verpflichtet sei.
Um die Leistungen des von ihm protegierten, inzwischen aber heftig in der Kritik stehenden Orchesters ins rechte Licht zu rücken, fand sich Strauss jedoch bereit, einige Konzerte in Lokalen außerhalb des Weltausstellungsgeländes zu organisieren, die für solche Zwecke besser geeignet waren. Von diesen Darbietungen zeigten sich die Rezensenten denn auch durchaus angetan. Mit dem Wetter besserte sich im Lauf des Sommers auch die Laune der Besucher der Weltausstellung, sodass sich das große Fest am 22. August unter Mitwirkung des Weltausstellungsorchesters, des Wiener Männergesang-Vereins und vierer Militärkapellen schließlich des erhofften Publikumszuspruchs erfreuen konnte.
Weltausstellungsklänge
Unter den Novitäten aus eigener Feder, die Strauss in den Konzerten mit dem Langenbach-Orchester präsentierte, nimmt nur eine einzige ihrem Titel nach auf die Weltausstellung Bezug, nämlich die Rotunde-Quadrille op. 360, die er aus Themen seiner jüngsten Operette Carneval in Rom zusammengestellt hatte. Hingegen ist eine Reihe von Werken anderer Komponisten nach der Weltausstellung bzw. der Rotunde benannt, so etwa der Wiener Weltausstellungs-Marsch op. 107 von Eduard Strauss, eine Komposition gleichen Titels op. 90 von Philipp Fahrbach jun., die Weltausstellungs-Walzer op. 208 von Carl Michael Ziehrer, die Walzer Wiener Weltausstellungsbilder op. 154 von Franz Roth oder die Polka française In der Rotunde op. 107 von Josef Kaulich. Diese Werke erklangen in den verschiedensten Vergnügungsstätten Wiens, nicht aber auf dem Weltausstellungsgelände selbst, wo exklusiv das Langenbach-Orchester konzertierte.
Musikinstrumente auf der Weltausstellung
Im Rahmen der Weltausstellung spielten die musikalischen Darbietungen freilich nur eine Nebenrolle im Sinn eines Begleitprogramms. Im Zentrum standen die neuesten Errungenschaften auf dem Gebiet von Industrie und Gewerbe. Dazu zählte aber auch der Musikinstrumentenbau, der durchaus repräsentativ vertreten war. Als besondere Attraktion hatte man sich eigens um die Ausstellung von Cremoneser Streichinstrumenten bemüht, doch galt diese Instrumentengruppe seit über einem Jahrhundert als vollkommen ausgereift. Beachtlichen technischen Fortschritt gab es hingegen bei den Blas- und den Tasteninstrumenten. Von der internationalen Jury wurden in dem obligaten Wettbewerb allerdings nur einige der Letzteren ausgezeichnet. Auf dem Gebiet des Erziehungs-, Unterrichts- und Bildungswesens erging eine nämliche Distinktion an die Gesellschaft der Musikfreunde, die damals noch ein eigenes Konservatorium, den Vorläufer der heutigen Universität für Musik und darstellende Kunst, betrieb. Dies mochte für die von so manchen organisatorischen Unzulänglichkeiten beeinträchtigte Selbstpräsentation der Musikstadt Wien ein versöhnlicher Ausklang gewesen sein.
– ta –