Vermischte Nachrichten
Die Wechselfälle des Weltausstellungjahres fanden auch in der zeitgenössischen Presse ihren Niederschlag. So manche Zeitungsnotiz zeichnet ein farbigeres Bild des Ausstellungsgeschehens als jede detaillierte Beschreibung. Lesen Sie selbst.
(Eine Weltbürgerin.) Man hat seinerzeit dem General-Director den Vorwurf gemacht, dass er zur Besorgung des Sanitätsdienstes ausser den Aerzten auch eine Hebamme angestellt habe. Soviel uns bekannt geworden, hat sich in der abgelaufenen Woche der erste jener Fälle ereignet, für welche Baron Schwarz in dieser Weise vorgesorgt hatte, ohne dass jedoch von dieser „Vorsorge“ Gebrauch gemacht wurde. Eine Dame, die mit ihrem Gemal in der Hamburger Restauration sass, wurde plötzlich unwohl und genas nach kurzer Zeit unter Beistand eines rasch herbeigerufenen Ausstellungsarztes eines Mädchens, welches im eigentlichen Sinne eine Weltbürgerin genannt zu werden verdient, da internationaler Boden seine Geburtsstätte ist.
(Internationale Ausstellungs-Zeitung, 24. 8. 1873)
H e r r R e d a c t e u r! In Ihrer gestrigen Nummer erwähnen Sie des Unfalles, der mich während des am 29. v. M. herrschenden Unwetters auf der Rotunde traf; der Sachverhalt ist aber nicht der richtige, sondern war folgendermassen: Ich und noch ein etwas magerer Herr waren auf der Aussengalerie der Laterne, als das Unwetter losbrach; wir sahen keinen andern Ausweg, als schleunigst in die Laterne auf die Innengalerie zu gelangen, und mussten daher, da die Thür für das Publikum abgesperrt war, zu dem Auskunftsmittel greifen, durch eine gebrochene Fensterscheibe uns hindurchzuzwängen. Meinem Gefährten war dies ein Leichtes; mir aber gelang es nur mit grosser Anstrengung und mit Beihilfe meines Leidensgenossen. – Ich füge zur Erklärung hinzu, dass ich mich eines ganz respectablen Körperumfanges erfreue und es allerdings ein wahres Kunststück war, mich durch die kleine Fensteröffnung zu zwängen. Das Unwetter tobte. – Nachdem es nachgelassen, entfernte sich mein Genosse und lies mich Aermsten allein auf der Innengalerie der Laterne zurück! Rufen, Schreien, Pochen, nichts half, keine Seele kam auf die Rotunde, und mir war es mit Aufwendung aller Kräfte nicht möglich, mich allein durch die enge Fensteröffnung zu zwängen! 1 ½ Stunden brachte ich im Ganzen oben zu! Erst nachdem wieder schönes Wetter war, kam ein Sicherheitswachmann zufällig hinauf und erlöste mich. – Dies die traurig-humoristische Geschichte, die sich während des Unwetters ereignete mit dem
ergebensten
W i e n, 2. Juli 1873 d i c k e n M a n n.
(Internationale Ausstellungs-Zeitung, 4. 7. 1873)
Vom Ausstellungsplatze Als ein Curiosum theilen wir unseren Lesern die Thatsache mit, daß ein total blinder Mann aus Weitra (Niederösterreich) die Ausstellung besucht. Derselbe läßt sich von einem Manne leiten und es berührt ihn sehr unangenehm, wenn man ihm bedeutet, die Dinge dürften nicht berührt werden. Er sucht deßhalb solche Orte im Weltausstellungsplatze auf, wo die Dinge dem Tastsinne zugänglich sind. Für die Dinge, die er nicht sehen kann, die ihm aber erklärt werden, zeigt er außerordentliches Interesse. Natürlich macht die Musik, die man in den verschiedenen Galerien hört, auf ihn einen tiefen Eindruck.
(Wiener Weltausstellungs-Zeitung, 24. 7. 1873)
(Der officielle Aufzug.) Der officielle Aufzug hat sich gestern in den kühlen Abendstunden einen Schnupfen geholt. Er konnte wieder einmal nicht in die Höhe. Die eine Luftröhre ist nämlich sehr stark afficirt und die Heiserkeit wird voraussichtlich längere Zeit andauern. Die Aufzugsröhre zeigte nämlich eine bedenkliche Neigung zum Zerplatzen; so wird aus den einzelnen Rissen, die sich bermerkbar machen, geschlossen. Die Röhre muss gegen eine andere vertauscht werden. Bis dies geschehen sein wird, werden wieder Wochen vergehen und diese „technische Merkwürdigkeit“ (!), die mit der Fortschritts-Medaille ausgezeichnet wurde (wahrscheinlich deshalb, weil sie nie fortschreitet), wird, nachdem sie die General-Direction ein nicht Unbedeutendes gekostet hat, am Schlusse der Ausstellung dem Publicum gegen Entgelt gezeigt werden, um nur etwas von den Kosten hereinzubringen.
Eine nicht uninteressante Berechnung hat jüngst ein Beamter der Weltausstellung gemacht. Vom Haupteingange durch sämmtliche Anlagen, Gebäulichkeiten und Galerien hindurch, sämmtliche Ausstellungsobjecte entlang, bei Objecten, welche freistehen, um von allen Seiten besehen zu werden, den Weg um dieselben herum mit eingerechnet, desgleichen die Ersteigung der Höhengalerien der Rotunde mit in Anschlag gebracht, bis wieder an’s Haupttor zurück, ist ein Weg von nicht weniger als 242, sage z w e i h u n d e r t z w e i u n d v i e r z i g C u r r e n t m e i l e n zurückzulegen. Nach der Geschwindigkeit eines normalmäßigen Truppenmarsches, per Tag sechs Currentmeilen gerechnet, ergibt sich, daß, um jedes Object einzeln besehen zu haben, vierzig Tage erforderlich sind, von Studien in einem oder dem anderen Theile der Ausstellung gar nicht zu reden.
(Wiener Weltausstellungs-Zeitung, 13. Mai 1873)
Der Magistrat von Wien wird während der Weltausstellung in der Lage sein, im Verkehr mit den Fremden die ausgebreiteten und vielseitigen Sprachkenntnisse seiner Beamten zu verwerthen. Französische Uebersetzungen besorgen der Sekretär Bittmann und Konzipist Dr. Plascin, italienische der Kanzleibeamte R. Guttmann, ungarische der Konzipist Kniker, kroatische und serbische der Konzipist Kremzar. Der Sekretär Krammer ist der französischen, italienischen, ungarischen und mehrerer slavischen Sprachen mächtig. Der französischen Sprache sind überhaupt circa 30 Kommunalbeamte mächtig, der italienischen 8, der slavischen Sprachen 38, der englischen 4 u. s. w. Der Bürgermeister Dr. Felder selbst versteht außer der französischen, italienischen und englischen auch die persische, skandinavische, spanische und holländische Sprache. In Paris waren zur Zeit der Weltausstellung die Kommunalbeamten nur ihrer Muttersprache mächtig.
(Ueber Land und Meer, Bd. 30, 1873, Nr. 37)
H e r r R e d a k t e u r! Wer den amerikanischen Pavillon der westlichen Agriculturhalle durchschreitet, dem bietet sich gewöhnlich ein interessantes Bild transatlantischer Gewohnheiten dar. Eine Anzahl von Personen männlichen Geschlechts, Herren wollen wir nicht sagen, hat sich an den Eingängen in Attitüden postirt, welche wol in Amerika üblich sein mögen, in civilisirten Ländern es aber durchaus nicht sind. Ich habe immer gehört und gelesen, der Amerikaner erzeige den Ladies höchste Achtung; ich finde aber davon keinen Beweis darin, dass man den vorübergehenden Damen Stellungen des auf zwei Stühle oder andere Objecte vertheilten Körpers zeigt, wie sie auch der roheste Kutscher, trotz seiner Force in dergleichen Bocktouren, nicht zu produciren wagt, von den Toiletten in Hemdärmeln ganz zu schweigen. Wenn dies im Industriepalaste, in der Rotunde geschähe, so würde die allgemeine Entrüstung derlei Unanständigkeiten bald ein Ende gemacht haben; oder sollten dieselben auch dort erlaubt sein? Wahrscheinlich glauben die Herren Amerikaner, sie befänden sich bei sich; dies ist aber ein kleiner Irrthum; sie sind Gäste, und zwar Gäste eines gesitteten Landes, wo man dergleichen Possen als entschiedene Zeichen der Unbildung betrachtet; ein Gast hat sich aber bekanntlich der Sitte des Hauses zu fügen. Da ich nicht glaube, dass Gentlemen sich dergleichen Betragen erlauben, so wird es wohl nur dieser Hindeutung bedürfen, um die untergeordneten Personen, die sich desselben schuldig machen, Mores zu lehren.
Dr. H.
(Internationale Ausstellungs-Zeitung, 24. 8. 1873)